Kölner Sportrede 2023
Grußworte der Oberbürgermeisterin der Stadt Köln, Henriette Reker
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Milz, sehr geehrter Herr Stegemann, lieber Herr Grünewald, liebe Gäste aus dem organisierten Sport, aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Stadtgesellschaft – ich freue mich, heute so viele bekannte Gesichter zu sehen,
Köln ist Sportstadt. Wer sich diesen Titel gibt, signalisiert damit, dass Sport mit an der Spitze der Agenda steht und der oder die muss sich dann gefallen lassen, an diesem Anspruch gemessen zu werden. Wer sich Sportstadt nennt, erkennt aber ebenfalls an, dass Sport multidimensional und facettenreich ist. Die Bandbreite der städtischen Sportpolitik reicht von der Spitzenförderung bis hin zum Zustand der Bolzplätze in den Veedeln.
Liebe Gäste, einen vollständigen Überblick vermag ich heute nicht in aller Ausführlichkeit zu geben, aber lassen Sie mich einige Kernpunkte nennen.
Die Kölnerinnen und Kölner lieben Sportevents. Handball-Final4s, Basketball-EM, Rollstuhl-Rugby, Radrennen, Frauenfußball oder Wassersport: Köln hat sich in der internationalen Sportwelt einen exzellenten Ruf erworben. Das begeisterungsfähige Publikum, die warmherzige Offenheit, der Spaß am Sport und am Gemeinschaftserlebnis. Das alles äußert sich in Wertschätzung für die Sportlerinnen und Sportler insbesondere auch jenseits des allgegenwärtigen Männerfußballs. Eine halb leere Halle bei einer Basketball-EM, wie in anderen Städten, werden sie in Köln nicht finden. Die Kölnerinnen und Kölner machen Stimmung und tragen damit selbst entscheidend zum Gelingen dieser Events bei und sie besuchen auch Spiele, wo keine deutsche Mannschaft ist.
Mit diesem Trumpf sind wir zu Europas Handballhauptstadt geworden. Unsere Arena wird schon als Tempel des Handballes bezeichnet. Wir konnten uns etablieren im europäischen Eishockey, im Basketball, beim Triathlon aber auch in Sportarten wie Rollstuhltennis, Paracycling und anderen inklusiven Wettkämpfen wie den ID-Judo Meisterschaften und den kürzlich erst abgeschlossenen World Dwarf Games. Das alles können wir addieren zu unseren bestehenden Stärken mit etablierten Veranstaltungen wie „Rund um Köln“ oder dem Kölnmarathon. Wir können mit Vorfreude und Zuversicht auf anstehende Großereignisse, wie die Fußball-Europameisterschaft der Männer blicken.
Köln wird ein exzellentes Bild abgeben. Wir werden die Strahlkraft des Turniers für uns nutzen.
Liebe Gäste, unser Erfolg zeigt, dass der Einkauf prestigeträchtiger Veranstaltungen nicht der einzige Weg zum Erfolg ist. Ich sehe Köln nicht in Konkurrenz zu anderen Städten in Deutschland, und schon gar nicht in Nordrhein-Westfalen. Ich halte es für richtig, dass wir uns stark einbringen in die landesweite Dachmarke „Sportland NRW“.
Neben den Großevents stärkt die Stadt Köln im Rahmen der Sportentwicklungsplanung systematisch den Breitensport. Wir fördern Sport in den Sozialräumen, erkennen und bedienen Bedarfe an Schulen, wir bringen Vereine, Institutionen, Verbände und Politik an einen Tisch. Der Sport hat in Köln den Stellenwert, zu dem wir uns mit dem Titel „Sportstadt“ verpflichten.
Warum das alles? Alle Studien und Erfahrungen belegen es: Leistungs- und Breitensport besitzen einzigartige sinn- und Gemeinsinn stiftende Charaktere. Er wirkt integrativ. Wer Teamsport betreibt, der verfügt eher über ein soziales Netz und genießt alle Vorteile, die damit einhergehen. Wer Mitglied eines Teams ist, vereinsamt nicht.
Sport ist Schlüssel zur Lösung dieser großen gesellschaftlichen Aufgaben: Dem Kampf gegen die Einsamkeit und für die Integration. Wer regelmäßig Sport treibt, der reduziert das Risiko verschiedenster Erkrankungen. Sport ist die gesundheitspolitisch wirksame Präventivmaßnahme schlechthin.
Wir wissen aber auch: Sport braucht Vorbilder. Spitzen- und Breitensport sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Deshalb können uns die deutschen Ergebnisse der letzten Jahre nur alarmieren. Ausscheiden in der Gruppenphase in beiden Fußballweltmeisterschaften. Null Medaillen bei der Leichtathletik-WM in Budapest. In den Laufwettbewerben spielt Deutschland nur noch eine Randnotiz. Bei Olympischen Spielen sind es gerade die neuen Sportarten, in denen Deutschland oftmals gar nicht erst antritt. Das ist nicht die Verantwortung unserer Athletinnen und Athleten, die regelmäßig neue Deutsche Rekorde aufstellen, und trotzdem oft nur hinterherlaufen können. Nicht verschweigen möchte ich die einzelnen, spektakulären Erfolge etwa im Eishockey und natürlich der riesige Triumph unserer Basketballer. Aber auch diese Sternstunde kann bestimmte Strukturen beim DOSB nur in Frage stellen. Es richtig, dass der DOSB nun selbst Änderungen am sogenannten „Potas-System“ einführen will.
Mit der Potas-Analyse sollen die Fördergelder des Bundes stärker anhand von Erfolgserwartungen und Medaillenchancen verteilt werden. In der Potas-Tabelle der Sommersportverbände hatte Basketball den letzten Platz belegt. Der Deutsche Leichtathletik-Verband war am besten bewertet worden und kehrte ohne Medaillen von der WM in Budapest zurück.
Neben solchen Details müssen wir uns aber grundsätzlich fragen, warum die Niederlande, Spanien und Großbritannien den Erfolg haben, den die Sportnation Deutschland mit ihrem ungleich größeren Potential nicht länger erzielt.
Vor diesem Hintergrund, liebe Gäste, halte ich es geradezu für symptomatisch, dass Bundesjugendspiele bei Kindern künftig ohne Bewertung ablaufen werden. Leistung, auch die Leistung des oder der Einzelnen ist Ansporn und Antrieb für Innovation, Erfolg und letztlich den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Wer Leistung erbringt, der oder die muss das Gefühl haben, dass sich die besondere Anstrengung lohnt, dass er oder sie Anerkennung dafür erfährt, dass er oder sie stolz auf das Erreichte sein kann.
Auch deshalb wird die Stadt Köln Kaderathletinnen und -Athleten in Zukunft auch finanziell unterstützen.
Wir werden zudem die Pläne für Olympische und Paralympische Spiele an Rhein und Ruhr energisch weiterverfolgen.
Köln, liebe Gäste, wird beim Sport den Weg der Ambition verfolgen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf den Austausch mit Ihnen am heutigen Abend.
Grußworte der Staatssekretärin für Sport und Ehrenamt des Landes Nordrhein-Westfalen, Andrea Milz
Liebe Frau Oberbürgermeisterin, lieber Herr Stegemann, liebe Gäste, nicht nur die Kölner sind verrückt nach Sportevents, sondern ganz Nordrhein-Westfalen. Und deswegen kann ich Ihnen heute auch sagen: Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen – egal, wo Sie hinschauen, sogar bis nach Riesenbeck in Westfalen – hatten wir ein Sportevent nach dem anderen. Volleyball, Hockey, Special-Hockey, Dressur, die Invictus Games und nächstes Jahr geht es munter weiter. Wir haben ja auch eine Bob- und Skeleton-WM, diese sportlichen Wettbewerbe werden in Winterberg stattfinden und wir haben dann auch noch die Bogensport-EM in Essen, also auch solche Sportveranstaltungen holen wir, so gut es geht, nach Nordrhein-Westfalen. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir damit junge Menschen dazu bewegen, sich für diese Sportarten zu interessieren und damit vielleicht auch in die Vereine zu locken. Denn, je besser vor Ort ein Sportereignis ankommt, desto mehr werden die Vereine anschließend aufgesucht von jungen Leuten, die sagen „Mensch, das hat mich so begeistert, das will ich auch einmal ausprobieren“. Und so ist es bei uns in Nordrhein-Westfalen möglich, dass man neben dem Fußball auch wirklich einen breiten Strauß, manchmal im Umfeld von 20 km, an Sportarten und Leistungssportler*innen hautnah miterleben kann.
Und deswegen freue ich mich jetzt auch heute Abend auf das Thema der diesjährigen Kölner Sportrede: denn warum engagieren wir uns in Nordrhein-Westfalen für die Ausrichtung so vieler Sportgroßereignisse? Zum einen erfüllen diese Sportgroßveranstaltungen natürlich einen Selbstzweck, zum anderen könnte man daraus durchaus berechtigt ableiten, dass Nordrhein-Westfalen für eine Bewerbung um Paralympische und Olympische Spiele geeignet ist.
Wir freuen uns, dass der DOSB im Zuge einer möglichen Olympiabewerbung Deutschlands nun Dialogveranstaltungen durchführt. Herr Burmester, Sie machen das genau richtig, Sie sagen „die Spiele müssen eben für den Menschen da sein und nicht umgekehrt“. Und da bin ich sehr gespannt, wie die einzelnen Dialogpartner*innen, die Sie vor Ort jetzt finden, sich zu diesem Thema stellen. Also auf uns hier in Nordrhein-Westfalen können Sie zählen, denn wir wollen wirklich Sport in allen Breiten erleben, vom Sport für die Kleinsten bis hin zum Sport für die Älteren, vom Leistungsniveau bis hin zur Freizeitveranstaltung.
Ich bin daher auch sehr gespannt auf die folgenden Beiträge und Diskussionen, freue mich, dass ich dabei sein kann und wünsche uns allen einen informativen Abend.
Grußworte des Vorstandsvorsitzenden der Führungs-Akademie, Oliver Stegemann
Frau Oberbürgermeisterin, Frau Staatssekretärin, sehr geehrte Damen und Herren. Ich freue mich sehr, als neuer Vorstandsvorsitzender der Führungs-Akademie zum ersten Mal hier bei der Kölner Sportrede auch in Amt und Würden dabei zu sein. Wir blicken auf eine lange Zeit ohne Kölner Sportrede zurück (zuletzt fand die Kölner Sportrede 2018 statt, Anm. d. Red.). Zu lange, wie wir fanden. Insofern freu ich mich sehr, dass wir heute hier sind und möchte meine Redezeit nutzen, um Danke zu sagen. Zunächst einmal an Sie, das Publikum, an euch, dass Sie den Weg hierher gefunden haben, dass wir wieder hier zusammen sein können. Es war eine lange Zeit, in der es jenseits des Tagesgeschäfts wenig Möglichkeiten des Austauschs und der Diskussion gab und insofern bin ich froh und dankbar, dass Sie heute alle den Weg hierher gefunden haben. Vielen Dank.
Als zweites möchte ich einen ganz besonderen Dank an das Team der Führungs-Akademie aussprechen. Nicht nur, was den heutigen Tag anbetrifft, sondern auch, was die letzten vier Jahre anbelangt. Corona hat sehr viel von unseren Routinen weggerissen, weggespült und wenig ist stehengeblieben. Innerhalb kürzester Zeit waren wir an der Führungs-Akademie gezwungen, unser komplettes Tagesgeschäft, unser komplettes Modell umzustellen und das wäre ohne ein so motiviertes Team von der Leitung bis hin zu den Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung nicht möglich gewesen. Ich habe das an vielen Stellen gesehen, wie wenig da ging in mancher Firma und in mancher Organisation und hier ging wirklich viel und das zeigt auch, wie stark ihr euch mit dem Team, mit unseren Zielen, mit unserer Führungs-Akademie identifiziert und deswegen von mir hier heute ein herzliches Dankeschön an euch.
Einen dritten Dank möchte unseren Zuwendungsgeber aussprechen. Der DOSB hat uns zur Seite gestanden. Aber vor allem die Stadt Köln und das Land Nordrhein-Westfalen haben uns durch schwierige (Corona-)Zeiten, begleitet, wo wir nicht wussten, wie wir durchs Jahr kommen werden, einfach weil niemand von uns etwas Derartiges hier je erlebt hat. Ich kenne das aus dem Berliner Betrieb, dass man sagt „Wir sind auf Sicht gefahren“. Das haben wir hier an der Führungs-Akademie auch getan und es war nur möglich, weil Sie und weil ihr auch an unserer Seite wart und uns auch sehr frühzeitig signalisiert habt, dass man uns nicht fallen lässt. Und ich glaube, das hat auch dem Team die Möglichkeit eröffnet, neue Kräfte zu entfalten, die dann auch nötig waren, um alles so umzustellen und so erfolgreich zu machen, wie das letztendlich geschehen ist. Also auch an euch und Sie herzlichen Dank.
Ja und dann möchte ich Ihnen, Herr Grünewald, danken, dass Sie heute zu uns gekommen sind. Ich habe mich ja bereits im Vorgespräch als Fan von Ihnen und Ihren Büchern geoutet. Ihr Buch „Wie tickt Deutschland?“ habe ich gelesen und finde Ihre Methode wahnsinnig spannend, weil ich es gut finde, neben quantitativen Berechnungen auch einmal darüber nachzudenken, was man hier eigentlich an Zahlen hat und was sie uns sagen können. In der Coronazeit ist viel passiert. Ich könnte mir vorstellen, dass man durchaus eine Fortsetzung schreiben könnte, also ich würde mich sehr freuen. Das ist jetzt aber nur eine rein persönliche Anmerkung von mir.
Im Vorfeld der Kölner Sportrede habe ich mir noch einmal das Buch zur Hand genommen, das Sie 2013 herausgebracht haben „Die erschöpfte Gesellschaft. Warum Deutschland neu träumen muss“. In der Einschätzung der deutschen Gesellschaft stellen Sie fest, dass häufig übersehen wird, dass „Deutschland neben der Fähigkeit zur Normierung und zur Effizienz eine zweite Stärke besitzt: Es kann seine eigene Unruhe über das Träumen in Schöpferkraft verwandeln und aus der Kraft zu Träumen, zu zweifeln und querzudenken, erwachsen die Kreativität, die wissenschaftliche Potenz und der Erfindungsreichtum des Landes“. Das haben sie 2013 geschrieben. Vielleicht ist es etwas verwegen, vor Ihrem Vortrag, das schon in Anspruch zu nehmen, aber ich hoffe natürlich sehr, dass Sie in der Idee, die olympischen und vor allem auch die paralympischen Spiele hier nach Deutschland zu holen, einen solchen Traum möglicherweise erkennen können. Der DOSB und der organisierte Sport träumen schon lange davon, nach 1972 endlich wieder die Olympischen Spiele in Deutschland auszurichten.
Vielleicht braucht unsere Gesellschaft wieder eine positive Energie, eine positive Bewegung, damit sie sich entfalten kann. Also, vielleicht erzählen sie uns jetzt auch genau das Gegenteil. Ich hoffe es nicht. Wir im organisierten Sport hoffen zumindest, dass wir mit dieser Idee, mit diesem Traum von Olympia in den 2030er Jahren wieder hier in Deutschland einen solchen Teil auch für uns, für unsere Gesellschaft beitragen können. Insofern bin ich jetzt sehr gespannt, was sie uns berichten werden, vielen Dank.
Impulsbeitrag von Stephan Grünewald zum Thema "Olympische Spiele bei uns in Deutschland?"
Stephan Grünewald ist Dipl.-Psychologe, Autor und Mitbegründer des Markt- und Medienforschungsinstituts rheingold.
Meine Damen und Herren, liebe Honoratioren, ob ich die Hoffnung erfülle, werde ich im Laufe der nächsten zehn Minuten, glaube ich, schon zu erkennen geben. Ich hatte einen ganz persönlichen Bezug zu Olympia, da war ich 15 oder 14 Jahre alt und mit der Schule auf Klassenfahrt in Berlin. Und wir lebten und wohnten für einige Tage im Olympiastadion. Es gab eine Jugendherberge, die sozusagen in die Ränge eingearbeitet war und man konnte vom Zimmer auf die Ränge gucken. Wir waren ganz beeindruckt von diesem riesigen Areal, von diesem wunderbaren Stadion. Und hatten dann nachts, nachdem wir ein paar Bier getrunken hatten, die Idee, alle Klopapierrollen, die wir in der Jugendherberge fanden, zu sammeln und in der Schale, wo früher das olympische Feuer brannte, zu entzünden. Dieses neu entfachte olympische Feuer sah man dann sehr weit in Berlin und ich hoffe, dass ich jetzt knapp 50 Jahre später dieses Feuer hier noch einmal entfachen kann.
Ich glaube, dass das ganz wichtig ist. Von daher oute ich mich jetzt schon, dass ich dieser Hoffnung nahekomme, dass wir olympische Spiele in Deutschland brauchen. U.a. auch deswegen, weil wir im Sommer eine Studie zum Stand der Zuversicht in Deutschland durchgeführt haben. Wir haben das mit der besagten tiefenpsychologischen Methode gemacht und dazu Menschen zwei Stunden auf die Psychologen-Couch gelegt, sie nach ihrer Zuversicht befragt und die Ergebnisse hinterher durch quantitative Analysen nochmal erhärtet. Dabei haben wir festgestellt, dass es eine ungeheure Diskrepanz zwischen einer überraschend hohen privaten Zuversicht und einer erschreckend niedrigen gesellschaftlichen Zuversicht in der Bevölkerung gibt. Das heißt, die Leute haben sich angesichts der vielen Krisen in ihr privates Schneckenhaus zurückgezogen und den Vorhang nach draußen zugezogen. Wir sprechen von einem Verdrängungsvorhang, der die Welt da draußen mit ihren Krisen von der privaten Welt trennt. Das heißt, viele Menschen sind nicht mehr bereit, sich mit diesen ganzen Krisen auseinanderzusetzen. Sie blenden die Nachrichten aus, aber sie finden Kraft, sie finden Zuversicht in ihren privaten Kontexten, in ihren Wohlfühloasen, bei der Selbstmodellierung, in ihren sozialen Bollwerken, wenn sie mit Gleichgesinnten zusammenstehen oder feiern. Aber diese enorme Kraft der privaten Zuversicht, die wird nicht nach draußen transformiert, die kreist sozusagen im kleinen Kreis des Schneckenhauses und die große Frage ist, wie bringen wir diese Kraft nach draußen, wie können wir die Bereitschaft fördern, uns wieder mit der Welt auseinanderzusetzen?
Wir merken momentan, wenn wir mit den Menschen sprechen, eher eine passiv resignative Haltung. Man hat große Anforderungen an die Politik, man übt sich in Enttäuschtheit, man hegt bestimmte Erlösungshoffnungen, die aber im Kern damit verbunden sind, dass man selber nicht viel tun muss. Die Technologie, der Fortschritt, die sollen die Probleme lösen oder die nächste Generation, die sind vielleicht vernünftiger, die sind abgeklärter, die sollen es anders machen oder die AfD-Version der Erlösungshoffnung ist: wir definieren bestimmte Schuldige und wenn wir diese Schuldigen abstrafen, dann kehren wir in eine glorreiche Zeit der Vergangenheit zurück.
Ich glaube, dass die Olympischen Spiele uns aus diesem Resignationsmodus holen können und mich als Psychologe hat persönlich am stärksten getroffen, dass eine Kraftquelle, nämlich die Stärke, die wir im Sozialen, in der Gemeinschaft erleben, dass die immer hermetischer wird. In den Gesprächen, die wir geführt haben, erzählen uns die Menschen, sie treffen sich mit Gleichgesinnten. Aber diese sozialen Bollwerke entwickeln eine Wagenburgmentalität. Man fängt an, Leute, die anstrengend sind, die anderer Meinung sind, auszugrenzen. Und das ist eine Gefahr für eine Demokratie, die auf Perspektivwechsel, die auf Austausch, die auf Kompromissfindung baut. Ich glaube, dass Olympia eine Möglichkeit ist, uns aus der Resignation zu führen, uns zu verlebendigen, das Wir-Gefühl zu stärken.
Wir haben vor einigen Jahren für den DOSB eine Studie gemacht zur Faszination von Olympia und da haben wir festgestellt, dass Olympia eigentlich zwei Seiten hat und diese beiden Seiten sind in den olympischen Ringen symbolisiert. Es geht bei Olympia einerseits um das Ringen nach Erfolg, aber es geht bei Olympia auch um das Ringen nach Einheit. Und das gesellschaftliche Kunststück ist es, diese beiden Bestrebungen, diese beiden Seelen in Einklang zu bringen. Ich will das nun einmal etwas ausführlicher erzählen. Also, die Menschen haben uns erzählt von der verlebendigenden Kraft, die mit Olympia verbunden ist. Sie sagen: wenn ich vor dem Fernseher sitze oder selber im Stadion bin, da ist eine Schicksalsdramatik, da sind Höhepunkte, da merke ich, da sind Schweiß, Jubel, Tränen, das hat eine ungeheure Kraft, auch in der Niederlage. Also mitunter ist die Niederlage viel spannender oder heilsamer als der blecherne Erfolg. Dann beschreiben sie den Wettkampf der Nationen, das weckt Stolz, damit sind patriotische Gefühle verbunden. Aber man sieht solche sportlichen Großereignisse auch als internationale Leistungsschau. Die Länder tun ihr Bestes, die Athleten performen, da haben wir eine wunderbare Synthese von Athletik und Ästhetik. Neben dieser Erfolgsstory gibt es diese andere Seele von Olympia: Olympia als feste Einheit. Die Menschen beschreiben uns diese Einheitsmission, die mit Olympia verbunden ist, dieses Friedensfest, das alle verbindet. Fairplay nicht nur im Stadion, sondern auch im eigenen Alltag. Und man erlebt ein spielerisches Miteinander. Das zentrale Symbol für dieses spielerische Miteinander der Nationen, wo auch die kleinen Nationen ihren Platz haben –Dabeisein ist alles – ist das olympische Dorf, wo alle zusammenkommen, alle den gleichen Standard haben, alle zusammen feiern, wo Harmonie herrscht, wo Party herrscht. Olympia ist in der Lage, uns zu verlebendigen und aus der Resignation herauszurücken. Olympia kann Einheit in der Welt, aber auch im Lande schaffen.
Aber – und jetzt wechsele ich einmal die Perspektive – die Kritiker haben mit vielen Dingen Recht. Aus Wohltat kann Plage werden und Olympia wird häufig nicht mehr als Friedensmission, sondern als kommerzielles Spektakel erlebt. Dann geht es eher um Korruption, um Leistung um jeden Preis, also um Doping. Es geht nicht um ein Fest, wo alle ihren Platz haben und alle gleichberechtigt feiern. Sondern um eine elitäre Abschottung. Olympia öffnet sich dann nur den Reichen. Es geht nicht um die Gestaltung unserer Lebenswirklichkeit, sondern um die Zerstörung der Umwelt. Es geht eher um Prunk und Pracht. Das wird als Vergeudung von Steuergeldern erlebt, wenn es nicht mit Leben gefüllt wird. Olympia ist daher eine Herausforderung, das Fest, die Spiele ganz anders zu inszenieren, die Kritiker, die im Kern auch an Olympia glauben, zu entkräften.
Dass wir das schaffen können, hat die Fußball-WM 2006 im eigenen Land gezeigt. Wir haben damals bei rheingold eine Studie zur Fußball-WM gemacht und festgestellt, dass die Menschen im Vorfeld der WM hin- und hergerissen waren. Einerseits freuten sie sich auf die Spiele, andererseits hatten sie große Angst und der Kern der Angst war: „was ist, wenn wir sozusagen zu patriotisch werden? Wenn uns die nationalen Gäule durchgehen? Können wir charmante Gastgeber im eigenen Land sein?“ Also die Vergangenheit saß uns da noch im Nacken, und es war eine ungeheuer befreiende Erfahrung, dass die Menschen im Lande diesen Spagat hinbekommen haben zwischen Patriotismus und Partyotismus. Dass sie einerseits ihre Sportler*innen, ihr Land angefeuert haben, andererseits aber weltweit als durchaus charmante Gastgeber erlebt wurden. Also die olympischen Spiele können ähnlich wie die Weltmeisterschaft im eigenen Land nicht nur eine Verlebendigung, sondern auch eine nationale Lockerungsübung sein.
Damit das gelingt – und damit komme ich zum Schluss – stehen wir nun vor der Herausforderung, die Olympischen Spiele anders zu gestalten, als wir es vielleicht in den letzten Jahren erlebt haben: kein seelenloses, perfektionistisches Spektakel zu inszenieren und weniger auf Gigantomanie zu setzen, sondern eher auf ein beschwingtes Leistungsfest. Es geht darum, nicht dem Prunk und der Pracht hinterherzulaufen, sondern eher den Charme, die Demut einer weltweiten Gemeinschaft hinzubekommen. Wir brauchen eine Synthese aus lustvoller Leidenschaft und fröhlicher Unbeschwertheit und wir brauchen eine zweite Synthese aus national gewillter Gemeinschaft: also wir dürfen durchaus patriotisch sein, aber das muss verbunden sein mit einer nahbaren Unbeschwertheit.
Dann gelingen die Spiele im eigenen Land. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Podiumsdiskussion mit unserer Expertenrunde
Alle Redebeiträge finden Sie in unserer Broschüre "Kölner Sportrede - Dokumentation" (Download Pdf).